Organisiert von der Heinrich Böll Stiftung NRW und der Volkshochschule Bonn fand die digitale Podiumsdiskussion unter dem Titel „Städte in Bewegung: Autogerecht oder Lebenswert“ statt.
Zur Einstimmung ins Thema wurden globale Fakten zur Mobilität aufgezeigt: so waren 2015 weltweit 1,3 Milliarden Autos zugelassen, in Deutschland waren es 2020 65 Millionen. Bonn verfügt dabei über 200.000 zugelassene Autos auf über 300.000 Einwohner*innen. In einer Umfrage unter den Teilnehmer*innen des Webinars wurde zudem festgestellt, dass es nur wenige Menschen gibt, die sich auf ein Verkehrsmittel fokussieren. Die der Teilnehmer*innen wechseln zwischen den verschiedenen Verkehrsmitteln.
Prof. Dr. Knie bewertet dies als Sinnbild für eine Gesellschaft, die um das Auto herum gebaut wurde. So war im 20. Jahrhundert die autogerechte Stadt ein Ideal der Stadtplanung. Aktuell zeige sich jedoch, dass der Autoverkehr durch Corona stark zurückgedrängt werde und Fahrräder viel dominanter werden, teilt Knie seine Berliner Perspektive mit. In Zahlen drückt sich das wie folgt aus: in Zeiten von Corona reduziert sich die Mobilität in allen Bereichen, - 8,5% im ÖPNV, -95% im Flugverkehr, -90% bei der Fernbahn und – 1/3 beim Autoverkehr. Durch diesen starken Einbruch sämtlicher Mobilität könnten in Zukunft auch vermehrt Arbeitswege eingespart werden.
Uta Linnert, selbst wohnhaft in Bonn, zeigte eine andere Perspektive auf: Pop-Up-Bike-Lanes wie sie in Berlin derzeit hochgefahren werden, sind in Bonn in der Breite kaum möglich, weil das Bonner Straßennetz von der Größe her nicht mit dem Berliner Straßennetz zu vergleichen ist. Ein weiteres Defizit, das aktuell noch deutlicher wird: der Raum für Parkplätze, gerade für große Autos, nimmt den Fußgänger*innen viel Platz, Mindestabstände können nicht eingehalten werden. Knie sieht NRW bei der Verkehrswende grundsätzlich nicht weit. In Berlin gebe es mit dem Mobilitätsgesetz hingegen eine klare Absichtserklärung in Sachen Verkehrsplanung. Die Herausforderung des begrenzten Parkraums bestehe auch in Berlin, so Knie. Er schlägt daher vor, dass außerhalb der Stadtzentren Parkräume geschaffen werden muss, auch damit der öffentliche Raum zurück in die Hände der Bürger*innen gelangt. Gegenwärtig verursacht das Abstellen der privaten Autos auf öffentlichem Grund kaum Kosten, hat jedoch gravierende Auswirkungen auf den öffentlichen Raum – dieser wird den Menschen entzogen. Auch deshalb plädiert Knie für ein Verbot des Abstellens von Fahrzeugen auf öffentlichem Grund. Grundsätzlich sieht er das Fahrrad auch außerhalb von Corona als DEN Aufsteiger unter den Verkehrsmitteln in den vergangenen Jahren. Das von Knie angeführte Mobilitätsgesetz führt Linnert vor allem auf bürgerschaftliches Engagement zurück. Ohne dieses wäre eine Mobilitätswende kaum vorstellbar. Aus der Bonner Perspektive skizziert sie, dass zur Einbringung im Stadtrat 10.000 Unterschriften notwendig seien, bei Ablehnung des Antrags sei schließlich ein Bürger*innenentscheid erforderlich. Es ist also durchaus möglich aus der Zivilgesellschaft heraus politischen Druck aufzubauen. Ein strukturelles Defizit, das Knie noch in der Verkehrspolitik zu erkennen gibt, ist die sogenannte ‚letzte Meile‘. Oftmals fehle eine Anbindung auf dem letzten Streckenabschnitt. Ziel müsse es sein von Haustür zu Haustür zukommen. Aus diesem Grund schlägt er als Lösung einen ‚Letzte-Meile‘-Fonds vor, der auch den ländlichen Raum berücksichtigt und ihn unabhängiger vom Individualverkehr macht. Linnert knüpft an dieser Stelle mit einem Plädoyer für die Subventionierung neuer und nachhaltiger Mobilität an. Frankreich habe es mit staatlicher Bezuschussung von Radreparaturen vorgemacht. Knie führt als eine Leitidee die Charta von Athen und die Vision einer gebündelten Stadt an. Statt autozentrierter Stadtplanung, wie sie in Deutschland noch prägend ist, müsse über den Individualverkehr hinausgedacht werden. So kritisiert Linnert an dieser Stelle auch das ‚Gesundschrumpfen‘ der Deutschen Bahn, was zur Reduzierung des Bahnnetzes geführt habe und heute in überlasteten Strecken mündet. Knie sieht an dieser Stelle die Vision einer modernisierten Bürger*innenbahn.
Als Ausblick für die Verkehrspolitik plädiert Knie für ihre Re-Politisierung. Politik nicht mehr als bloßes Verteil-Instrumentarium staatlicher Gelder betrachtet werden, sondern müsse stattdessen politisch eine Richtung vorgeben. Linnert sieht die Kommune als Bezugspunkt. Sein Abschlusswort ermutigte So können Städte als Moderator*innen in der Zivilgesellschaft fungieren und sich in der Verkehrspolitik auch mal was trauen.